Nestlé, der größte europäische Nahrungsmittelkonzern, hat eine neue Führungsspitze – doch die Probleme des Unternehmens bestehen weiterhin. Nach acht Jahren als CEO übergibt Mark Schneider das Ruder an Laurent Freixe, einen langjährigen Nestlé-Veteranen. Freixe, der seit fast vier Jahrzehnten im Unternehmen tätig ist, steht vor der gewaltigen Aufgabe, das Geschäft wieder auf Kurs zu bringen.
Unter Schneider verfolgte Nestlé eine klare Strategie: Der Fokus lag auf Wachstumssegmenten wie Kaffee, Tiernahrung und Gesundheitsprodukten. Diese Bereiche brachten zwar hohe Gewinne, doch in anderen Sektoren konnte Nestlé nicht überzeugen. Besonders in den USA und Europa machen dem Unternehmen Absatzprobleme zu schaffen. Der wachsende Trend zu günstigeren Marken und der zunehmende Widerstand gegen stark verarbeitete Lebensmittel haben Nestlé in eine anspruchsvolle Lage gebracht. Der Aktienkurs hat seit Anfang 2022 knapp 30 % an Wert verloren – ein deutlicher Rückschlag, besonders wenn man bedenkt, dass Konkurrenten wie Danone und Unilever im Vergleich mit Kursgewinnen überzeugen konnten. Auch der Gesamtmarkt zeigt seit einiger Zeit einen positiven Trend.
Mit Laurent Freixe als neuem CEO hofften zunächst viele auf eine Wende, doch zumindest an den Aktienmärkten ist diese Hoffnung nicht eingepreist. Es bestehen zumindest Zweifel, ob es kurzfristig zu einer Trendumkehr kommen kann. Unklar bleibt, ob Freixe eine umfassende neue Strategie präsentieren kann, die Nestlé aus der selbstverschuldeten Krise führt. Zwar besitzt er umfassende Erfahrung, vor allem in der Bewältigung schwieriger Marktbedingungen, doch die strukturellen Herausforderungen, vor denen der Konzern steht, sind gewaltig. Pessimistische Prognosen erwarten frühestens ab 2026 eine Rückkehr zu profitablerem Wachstum. Das organische Wachstum in diesem Jahr von nur 2,4 % liegt deutlich unter den langjährig gesehenen Wachstumsraten von 4-6 % und kalibriert so einige Bewertungsmodelle neu.
Nestlé steht im Zentrum eines grundlegenden Wandels der Lebensmittelindustrie. Stark verarbeitete Lebensmittel, die einen erheblichen Anteil an Nestlés Portfolio ausmachen, geraten zunehmend in die Kritik. Verbraucher fordern gesündere Alternativen, und der regulatorische Druck auf die Branche wächst. Konsumenten bevorzugen aufgrund inflationsbereinigt geringerer verfügbarer Einkommen zunehmend billigere Alternativen, während die Margen in traditionellen Geschäftsfeldern wie Süßwaren und verarbeiteten Lebensmitteln schrumpfen. Dies betrifft insbesondere den US-Markt, der einen wichtigen Teil des Konzernumsatzes ausmacht.
Nestlé hat angekündigt, bis 2030 den Anteil gesünderer, kalorienärmerer Produkte signifikant zu erhöhen, doch bisher ist dies eher ein Tropfen auf den heißen Stein. Die große Frage bleibt, ob der Konzern rechtzeitig auf diese Veränderungen reagieren kann, ohne seine Margen und Marktanteile weiter zu gefährden.
Insgesamt zeigt sich: Der Führungswechsel allein wird die Probleme von Nestlé nicht lösen. Die strukturellen Herausforderungen bleiben und der Weg zurück zu Wachstum und Profitabilität dürfte lang und steinig werden. Anleger sollten sich auf eine anhaltend turbulente Phase einstellen. Wir haben unsere Position zuletzt deutlich reduziert, ohne dabei die Hoffnung ganz aufzugeben. Wir trauen es dem Unternehmen durchaus zu, zu alter Stärke zurückzukehren.
Die erwartete operative Gewinnmarge für das Jahr 2024 liegt weiterhin bei konkurrenzfähigen 17,4% und zeigt sich seit Jahren sehr stabil. Das Wachstumspotenzial in den arrivierten Industrieländern mag übersichtlich sein, anders sieht es jedoch in den Entwicklungsländern und im asiatischen Raum aus. Diese Regionen machen den Großteil der Weltbevölkerungszuwächse aus und stellen langfristig noch beachtliches Potenzial in Aussicht. Bis 2050 soll die Zahl der Erdbewohner auf 9,7Mrd. ansteigen. Bereits jetzt lebt mehr als die Hälfte der über 8Mrd. Menschen in asiatischen Regionen.
Auch unternehmensseitig sehen wir Perspektiven für Umstrukturierungen und einen steigenden Aktienkurs. Das Wassergeschäft schadet dem Konzern in der Außenwahrnehmung seit Jahren, ein Verkauf könnte also nicht nur finanzielle Vorteile bringen. Die Marge in der Sparte ist, entgegen der öffentlichen Einschätzung, mit etwas mehr als 10 Prozent im Vergleich zu anderen Bereichen sehr übersichtlich. Der Umsatz ist stetig abnehmend und liegt mittlerweile nur noch bei etwas über 3Mrd.
Die höchste operative Gewinnmarge bieten Milchprodukte mit über 24%. Aktuell setzt Nestlé mit diesen Produkten rund 11Mrd Schweizer Franken pro Jahr um.
Zukäufe könnten wie zuletzt in den wachstumsstarken Feldern Kaffee und Tiernahrung erfolgen. Wir sehen besonders in Asien aussichtsreiche Kaufkandidaten. Die Finanzierung stellt für das Unternehmen kein Problem dar, da Nestlé auch unabhängig von möglichen Verkäufen stets Mittel für solche Übernahmen einplant und trotz aller Schwierigkeiten der operative Cashflow intakt ist.
Möglicherweise ist ein längerer Atem der Investoren gefordert, dennoch sehen wir den Abgesang als überzogen an und glauben an die Widerstandsfähigkeit des Schweizer Branchenprimus.